Projekt Vielfalt

Projekt Vielfalt

Nierstein für Vielfalt

 

Rheinhessen steht für Vielfalt. Die Region hat in ihrer langen Geschichte verschiedene Kulturen erlebt und davon profitiert. Dazu bekennt sich auch die Stadt Nierstein. Menschen, die hier ein neues Zuhause suchen, sind willkommen. Diskriminierung, Hetze und Rassismus lehnen die Bürgerinnen und Bürger ab.

Zum Ausdruck kommt das mit der Kampagne „Nierstein für Vielfalt“, die im Sommer 2021 gestartet ist. Neben Schildern mit klaren Botschaften, die im Ortskern von Nierstein und Schwabsburg zu finden sind, positionieren wir uns mit positiven Beispielen. Wir erzählen die Geschichte von Menschen in unserer Stadt. Wir wollen Begegnung ermöglichen und Nähe schaffen.

 

Rheinhessen wurde zunächst von Wanderbauern und Keramikern besiedelt, die aus allen Himmelsrichtungen kamen. Größere Ortschaften gründeten die Kelten mit Mainz und Worms. Die Römer brachten den Weinbau, legten befestigte Straßen an und entwickelten Städte. Weitere Dörfer und Gaue entstanden unter den Franken. Viele Völker haben im Laufe der Zeit die Lebensweise der Menschen hier beeinflusst. Die Nähe zu Frankreich spürt man in der rheinhessischen Version des „Savoir-vivre“ (verstehen, zu leben). Ein Merkmal, welches auch die Stadt Nierstein auszeichnet.


„Im Bauhof packe ich für Nierstein an.“

Ali Khello hat große Träume. Er möchte studieren und Bauingenieur werden. Der 23-jährige junge Mann wirkt älter als er ist. Er hat bereits viel erlebt. Seine Familie stammt aus Aleppo, der zweitgrößten Stadt in Syrien. Wer dorthin zu Fuß möchte, hat rund 3.300 km Wegstrecke vor sich. Der Krieg hatte ihn und seine Familie gezwungen, diesen Weg zu nehmen.

Zunächst flohen sie 2014 nach Afrin, einer Stadt im Nordwesten Syriens, die damals mehrheitlich von Kurden bewohnt war. Als türkische Truppen die Stadt besetzt hatten, stellte sich wieder die Frage nach einer sicheren und friedvollen Zukunft. So zog die Familie weiter. Über die Türkei ging es nach Griechenland. Von dort nach Serbien und schließlich nach Ungarn und weiter. Keiner wollte sie haben – die Aufenthaltserlaubnis war begrenzt. „Wir sind zu Fuß gelaufen, manchmal hat man uns Fahrräder geliehen, damit wir schneller weiterkommen und nicht zu lange bleiben“, berichtet Ali im Gespräch.

Sechs Monate dauerte die Flucht in ein unbekanntes Land – Deutschland. Von Passau ging es über München nach Bonn und Bremen. Und hier bewegte sich nichts mehr. Doch die Kinder wollten studieren – etwas erschaffen und aufbauen. Nicht untätig rumsitzen und auf Hilfe warten. Vorbild ist der Vater, der als Agraringenieur in Syrien gearbeitet hat. Schließlich wurden die Geschwister getrennt. Während Ali in Bremen blieb, kamen seine Geschwister von Bremen über Trier nach Rheinland-Pfalz, um hier wohnhaft zu werden. Da Ali bei seiner Familie sein wollte, kam er am 8. Januar 2016 nach Ingelheim. 

Endlich konnte er beginnen, seine Wünsche in die Tat umzusetzen: Er absolvierte zügig die Sprachkurse, um die Schule besuchen zu können. Die neunte und zehnte Klasse absolvierte er erfolgreich in Ingelheim. Die elfte und zwölfte Klasse besuchte er in Mainz-Hechtsheim und schaffte sein Fachabitur mit der Note 2,6. Um mit einem Fachabitur studieren zu können, ist ein Praktikum notwendig. Das absolviert er derzeit in Nierstein im Bauhof. Dafür wird er gelobt: „Er sei ein verlässlicher und ruhiger Mitarbeiter, der was schafft“, so ein Kollege.

Und hier, in Nierstein, wohnt er nun auch mit seinem kleinen Bruder und den Eltern. Seine Schwestern sind bereits als Architektin und Bauingenieurinnen tätig und wohnen an anderen Orten in Rheinland-Pfalz. Sein Ziel hat er klar vor Augen – er möchte in Mainz oder Wiesbaden studieren und später Häuser bauen. Er will gestalten und anpacken.

Er ist dankbar dafür, dass er hier eine neue Heimat gefunden hat. „Die Leute sind sehr nett und aufgeschlossen“, freut sich Ali. Zudem komme er im Bauhof mit vielen unterschiedlichen Kulturen zusammen. „Hier arbeiten Deutsche, Portugiesen, Polen und ich als Syrer zusammen.“ Er lernt von ihnen und gibt auch gerne etwas zurück.

Dass er auch kulturell etwas zurückgeben kann, ist ihm besonders wichtig. „Denn in Aleppo ist nur die arabische Sprache erlaubt. Ich bin aber Kurde. Meine Sprache und meine Kultur durfte ich öffentlich nicht zeigen. Das wir in Deutschland frei leben können, ist ein Segen“, bedankt sich Ali.


„Ich bin in Rheinhessen zu Hause “

 

Wer mit Halil Ghazi spricht, wird unweigerlich von seiner Energie mitgezogen. Der 42-jährige Familienvater spricht in einem unverkennbaren rheinhessischen Dialekt von Nierstein als sein Zuhause.

Seine Energie steckt er in viele Projekte. Hauptberuflich arbeitet er im genossenschaftlichen Verbund als Firmenkundenberater. Ehrenamtlich engagiert er sich im Betriebsrat, im Wirtschafts- und Tourismusausschuss der Stadt Nierstein, als Beisitzer in der SPD und als Schöffe im Amtsgericht Mainz.

Er lebt kulturelle Vielfalt und verbindet rheinhessische und libanesische Lebensart. Schon von klein auf hat er gelernt, eine Brücke zwischen zwei verschiedenen Kulturen zu bauen. Seine Eltern flüchteten 1978 aus dem Südlibanon und fanden erst in Oppenheim und ab 1985 in Nierstein ein neues Zuhause.

Halil Ghazi ist das Jüngste von sechs Kindern und wurde hier geboren: „Irgendwo zwischen Nackenheim und Bodenheim bin ich auf die Welt gekommen – auf dem Weg ins Krankenhaus. Ich hatte es scheinbar eilig“, scherzt er. Sein Lachen steckt an und verbreitet gute Stimmung. Seine eigene Geschichte hat er schnell erzählt: Erst die Grundschule in Nierstein und dann das Gymnasium in Oppenheim. Nach dem Abitur zum Studieren nach Koblenz, inklusive einem Auslandssemester in Saragossa (Spanien).

Rheinhessen und im speziellen Nierstein sind er und seine Familie immer treu geblieben. „Schauen Sie sich um, dieses Land ist gelebte kulturelle Vielfalt: Weinbau von den Römern, Lebensart von den Franzosen, gepaart mit deutscher Gründlichkeit und einem Tupfer Libanon.

Und das sind nur einige Aspekte. „Hier ist mein Zuhause, hier ist meine Zukunft“, betont Halil Ghazi.


„Das Team zählt, egal woher Du bist.“

 

Ein Platz. Ein Ball. Das Spiel geht los. Fußball bringt Menschen schnell und unkompliziert zusammen. Siege und Niederlagen werden gemeinsam gefeiert und ertragen – auch ohne viele Worte. Und speziell Migranten hilft dieser Sport, aufgrund der einfachen und international bekannten Regeln, in unserer Gesellschaft anzukommen. Denn wer sich persönlich kennt, baut Vorurteile ab und Verständnis auf.

Dabei können wir viel von unseren Jüngsten lernen. So wie von Charlotte, Ricardo und Oskar. Sie sind sieben Jahre alt. Kaum sind die drei Kinder auf dem Platz, spielen sie vor dem Tor. Dabei ist die Herkunft egal. Wichtig ist, dass gemeinsam gespielt wird. Aus diesem Zusammenhalt kann sich mehr entwickeln: „Rici ist mein Freund“, betont Oskar. Beide trainieren zweimal in der Woche auf dem Fußballfeld.

Ricardo hat portugiesische Wurzeln, bei den Geschwistern Oskar und Charlotte sind es deutsche. Sie stehen stellvertretend für viele Kinder und Jugendliche mit unterschiedlicher Herkunft, die im Jugendförderverein Rhein-Selz e.V. (JFV) spielen. Diese Vielfalt bereichert den Fußball – ohne dass die Kinder das extra betonen. Sie leben es einfach vor und halten im Team zusammen: Jungen und Mädchen, die teilweise aus den verschiedensten Regionen kommen. Da gibt es auch Streit, aber eher wegen verpasster Chancen vor dem Tor.

Und so wie das Miteinander im Fußball gelingt, kann auch das soziale Klima und Miteinander in Nierstein sein: Fußballvereine haben das Potential zum Lernort für gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu werden – schreibt der Deutsche Fußballbund auf seiner Webseite. Und das ist das Besondere an diesem Sport: Die Anerkennung unter den Kindern und Jugendlichen gibt es auf dem Platz nicht aufgrund des sozialen Status oder der Herkunft. Was zählt ist, wie sich jedes Teammitglied für die gemeinsame Sache einsetzt. Diskriminierung und Hetze haben hier keinen Platz.

Anerkennung gebührt den Menschen, die sich täglich in Vereinen und Organisationen für eine vielfältige und respektvolle Alltagskultur einsetzen. Ohne viele Worte. Ganz einfach. So wie Charlotte, Ricardo und Oskar.


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